Donnerstag, 3. Dezember 2009

Aller Anfang...auch beim Bloggen


...zunächst daher ein breitgefächertes Feigenblatt, dass die Nacktheit dieser Seite beheben soll, meine 1. allgemeine Rundmail von letzter Woche:

Jerusalem 25. Nov. 2009

Liebe Alle,


bevor auch die 4. Woche unbeschrieben zu Ende geht, ein erster Lagebericht aus dem Zirkuszelt Israel. Ich verzichte darauf, mich für seine Unvollständigkeit und/oder Länge entschuldigen zu wollen. Soll jeder selber sehen, wie viel er liest. Als Minimum sei auf meine Adresse/TelefonNr. ganz am Ende hingewiesen sowie auf folgendes Ergebnis: es geht mir granz praechtig.


Letzteres war noch vor Abflug nicht allzu vorhersehbar, hatte ich noch nicht einmal fuer die erste Nacht ein sicheres Dach überm Kopf. Der Ehrlichkeit halber sei zugegeben, dass ich entsprechend bang in den Flieger stieg. Wo wir schon bei Ehrlichkeit sind: die allseits gefürchteten Israelischen Einreiseprozeduren von Befragungen über alles Mögliche, was sie nichts angeht, oder gar solche Späße wie Leibesvisitationen, hielten sich bei mir sämtlich in Grenzen.

Die erste Woche durfte ich in der Probstei der Erlösergemeinde schlafen, der optimale Platz, um in diese Stadt, um in den Orient hinein zu starten. Jeden morgen um 7.00 geweckt von den vorwiegend an Badewannen erinnernden Bassbarritonglocken der Grabeskirche, unserem Nachbarhaus und seines Zeichens wichtigstes Heiligtum der Christenheit, gleich gefolgt von 2-20 Muezzinen, vorsichtig gesagt: unterschiedlicher Art und Güte. Passend dazu die olfaktorische Untermalung aus den unzähligen Bazarsträsslein um uns herum: Falafel, Orangen (wir befinden uns mitten in der Zeit der Zitrusfrüchte), Fisch, Gewürze, türkischer Kaffee, bappsüsse arabische Backwaren, Weihrauch für die Pilger, nicht zu vergessen den reichlichen Dreck und Urin. Nur gut, dass die allerorts angespriesenen Plastikklamotten, elektrischen Spielzeuge, authentische echt-Orient-Souvenirs und Devotionalien in Massen kaum riechen.


Zum 1. Mal im Zentrum der Heiligkeit von insg. 80% der Weltbevölkerung und zugleich an einem Samstag aufwachend, startete ich den Tag mit einem Gang zur Klagemauer, um das pitoreske Schauspiel der Shabbatgebete von zick unterschiedlichen Strömungen orthodoxer Juden zu erleben. Ich war noch nicht lange dort, noch eben hatten sich die feschen Sicherheitskräfte am Eingang königlich über meine Mundharmonika in der Handtasche gefreut, da kam ein alter Jude mit verschmitztem Gesicht auf mich zu. Ob ich Juedin sei, wie ich hiesse, seit wann ich hier sei. Oh, mein erster Tag! Dann müsse ich unbedingt seinen Freund Schlomo (Salomo) kennenlernen. Er zog mich namentlich zu einer Gruppe sehr anständig beanzugter jüdischer Männer, brachte mir Kekse und seinen Freund Schlomo, einen jungen Amerikaner, mit dem ich mich etwas verwirrt aber fröhlich über weniger Gott als die Welt unterhielt. Ich müsse unbedingt mit ihnen zu Rabbi Mordechai kommen, der lade jeden Shabbat die Familie, Gemeinde und Freunde zum grossen Essen bei sich ein. Es gab kaum Möglichkeit, dieser Einladung zu entkommen. Also fand ich mich in einem Pulk sog. modern orthodoxer Juden wieder, auf dem Weg zu Rabbi Mordechais Haus, das für ca. 50 Personen gut Platz gehabt hätte, uns insg. eher 100 Menschen aber auch ganz prima hat beherbergen koennen. Dessen sage und schreibe 14 Kinder und glaub 12 Enkel brachten Speisen über Speisen. Es wurde gepredigt, gesungen, gebetet. Die Gemeinde wurde mehrfach aufgefordert, ihre eigenen Gedanken mitzuteilen, solange sie nicht politisch seien und den Geist des Shabbats nicht beschmutzen. An westeuropäischen Standards gemessen, hätte man wohl die Häflte der nun folgenden Redebeiträge als kernpolitisch klassifizieren und streichen müssen. Hier gelten wohl andere Maßstäbe. Mein alter Freund ließ nicht nach, mir eindringlich und verschmitzt zuzuwinken. Ich solle aufstehen und reden. Ausgerechnet ich...und siehe da, als es irgendwann 16.00, kein Ende in Sicht, und ich zu +/- 14.00 mit meinem vermeintlichen Praktikumsgeber verabredet gewesen war, der Raum nach wie vor so brechend voll, dass genau alle hätten aufstehen müssen, um mich gehen zu lassen, eine undenkbare Unhöflichkeit, blieb mir keine Alternative, als selbst aufzustehen, eine flammende Rede auf die Gastfreundschaft und dieses unübertreffliche Willkommenheissen in Jerusalem zu halten und zu verschwinden.


Was ich seither tue? Ich bilde in Personalunion die Rechtsabteilung des Schmidt Girls College Jerusalem, der dt. kirchl. Mädchenschule, assistiere einem Kunsthistoriker und Restauratoren Paar, das mich geradezu adoptiert hat, bei der Instandsetzung und -haltung ca. sämtlicher Kirchen und Klöster im Lande und spüre, wie ursprünglich geplant, die letzten deutschen Juden, die echte Jeckes, hier in Jerusalem auf, um sie kennenzulernen, ihre Geschichten zu hören und soweit möglich, aufzuschreiben.


Nachteil: heilloses Chaos, keinerlei infrastrukturelle Zugehörigkeit und alle paar Tage ändert sich ungefähr alles. Riesenvorteil: ich befinde mich in einer so dermassen flexiblen und selbststaendigen Position, dass ich meinen Aufenthalt hier als geradezu Dauerferien bezeichnen koennte, obwohl ich bestimmt nicht unaktiv bin. Ich komme viel herum, war im Norden in Tiberias, Kafarnaum, auf dem Berg der Seligpreisungen, in Bet Shean (alter röm. Handelsort mit grosser Ausgrabungsstätte) oder Ramallah, Jericho und Taybeh, im Süden am Toten Meer, schlammbeschmiert schwimmen gewesen und in der Sonne gebrutzelt, natuerlich in Bethlehem und auf der imposanten herodianischen Festung Massada, in der die letzten Zeloteneinheiten vor der Eroberung durch die Römer einen kaum vorstellbaren Massensuizid begangen haben, dem nach wie vor -für meinen Geschmack allzu propagandistisch angereichert- in besonderer Weise gedacht wird durch bspw. sämtliche Offiziersvereidigungen dort oben, damit der Nachwuchs bloss weiss, in welche Tradition er sich einzureihen hat.


Ich habe Masante gefunden (den fiktiven Fluchtort am Rande einer Wüste im gleichnamigen, wärmstens zu empfehlenden Roman von Wolfgang Hildesheimer) ! In Wahrheit heisst er Nabi Musa, ist eine alte, verlassene Karawanserei und gedenkt nach muslimischer Tradition dem Tod und neuen Grab Moses. Einzig die Muslime haben nämlich Mitleid mit dieser bitter traurigen Figur des Alten Testaments, die nie das Hl. Land hat betreten dürfen und fingiert daher eine Umbettung der Knochen Moses vom jordanischen Berg Nebo in die Nähe Jerusalems, auf Befehl Mohammeds, Allah Waqba!


Das alles ermöglicht mir mein eigenes kleines Auto, ein alter apfelsinenfarbener VW-caddy, den ein australischer orthodoxer Pater hier gelassen hat, nachdem er sich mit Pauken und Trompeten und seiner leiblichen Schwester hier verkracht hat und fluchtartig das Land, das Heilige, verlies. Ein eigenes Auto zu fahren hört sich dabei harmloser an, als es ist. Der Jerusalemer Verkehr könnte mit dem römischen oder dem pariser verglichen werden, läge er nicht ausgerechnet im Orient, wo Vorfahrt grdls. nur Verwandten, ggf noch Freunden gewährt wird und Ampeln oder Strassenseiten eher als Orientierungspunkt, denn als strikt einzuhaltende Regeln angesehen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass genanntes Apfelsinenorange die inzw. geschützte Farbe der allseits verhassten jüd. Siedler in Palästinensergebieten ist. Da kann das orthodoxe Kreuz am Innenspiegel noch so gross sein. Einzige Hilfe gegen die unwiederbringliche Einweisung in die persona non grata Schublade ist der grosse, weisse, strubbelige Hund der Restauratoren, den ich regelmässig im Auto mitnehme. Hunde gelten nämlich sowohl unter Muslimen als auch unter Juden als unrein.


Inzwischen wohne ich im französischen Kloster und Altersheim Notre Dame des Douleurs, DIREKT an der sympathischen 9 bzw. 12 Meter Sicherheitsmauer der Israelis zur Wildwestbank. Markanterweise durfte ich hier zum ersten Mal am 9.November 2009 aufwachen, frisch aus gerade der Stadt kommend, in der an diesem Tag dem Fall der vergleichsweise freundlichen kleinen 4 Meter Mauer gedacht wurde.


Meine politischen Eindrücke spar ich mir noch auf. Nur so viel: man könnte problemlos meschugge werden!


Derweil lerne ich fleissig Arabisch. Der Kurs findet im Ecce Homo Kovent (mit toller 1001 Nacht Dachterrassenlandschaft nahe dem Felsendom!) statt, wo immerhin der Verurteilung Jesu gedacht wird, und setzt sich zusammen aus einem argenitinischen Franziskanerpater mit genau 3 Zähnen und einem Arm, zwei hutzeligen Mutter Theresaschwestern, einer ganzen Opus Dei Fraktion, allesamt grosszügig ausgestattet mit dem sog. katholischen Glühen, einer amerikanischen Evangelikalen, einer jungen Tschechin, die jede Woche von einem anderen Habibi dorthin begleitet wird usw. Der Kurs zahlt sich wie von Wunderhand 1:1 in seither drastisch sinkenden Preisen aus!


Zweimal die Woche singe ich in einem hebräischen Chor im deutlich an "Rick's Cafe" erinnernden YMCA, der sich ähnlich abenteuerlich zusammensetzt (ein orth. Rabbi, eine militante Siedlerin, gleichzeitig Polizistin, ein kath. Priester, ein Franziskanermönch in ACDC T-Shirt und Jesus-Lederlatschen, eine franzos. Britin von der EU-Kommission...), freunde mich mit dem Zerberus der Grabeskirche, dem furchteinfloessenden Pater Dimitrius, mit Henrik Broder und Gad Granach, mit Senta Berger, mit Frau Alami, der palaestinensischen Bildungsministerin sowie deren Neffen und gleichzeitig Sohn des hiesigen Tabakproduzenten, und allen moeglichen sonstigen Kauzen, die hier so herumlaufen an und hoere langsam besser mal auf, zu schreiben,
gruesse besonders herzlich in die Runde, freue mich riesig ueber Antworten und melde mich bald wieder,
eure Marie

2 Kommentare:

  1. Geht doch!
    :-D
    und schon abonniert - einen schönen Nikolaussonntag!

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  2. Sehr gute Idee Deine Erlebnisse mit Bildern etc. als blog! Lass es Dir weiterhin gut gehen! Gr&Ku

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